Textatelier
BLOG vom: 04.01.2009

Gaza als Beispiel: Die Zerstörung von Stätten der Bildung

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Beinahe eine Randerscheinung im Bomben- und Bodenkrieg, den Israel zurzeit ungestraft gegen die Palästinenser führen darf, war die Zerstörung der Universität in Gaza-Stadt, in einem Gebiet, das laut FAZ „schon aufgrund der israelischen Blockade ein Armenhaus“ ist – seit 1999 nahm die Zahl jener, die unter der Armutsgrenze leben, von 52 auf 79 Prozent zu. Zweifellos wird es Israel durch eine masslose, unverhältnismässige Bombardierung gelingen, diese Zahl weiter zu erhöhen. Nur Hilfslieferungen könnten die Menschen, die ohne Perspektive sind, noch einigermassen über Wasser halten. Doch Israels Armee geht „rigoros gegen Hilfslieferungen für Gaza“ vor („Handelsblatt“ vom 30.12.2008), um das widerspenstige, eingesperrte Volk auch durch Aushungern zu vernichten. Zwar wird vom Judenstaat offiziell nur die „Vernichtung der Hamas“ als Ziel genannt – aber es geht offensichtlich um die möglichst weitgehende Beseitigung des Nachbarvolks, wie Angriffe auch auf die Zivilbevölkerung belegen. Schliesslich ist die Hamas demokratisch gewählt worden – also müssen wohl auch die Wähler mit Anhang verschwinden.
 
Dieser Vernichtungskrieg mit Unterbindung der medizinischen Versorgung ist ein Bestandteil des gnadenlosen „Kampfs der Kulturen“ („The Clash of Civilizations“), wie ihn der visionäre New Yorker Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 1996 beschrieben hat. Huntington ist am 28.12.2008 im Alter von 81 gestorben. Er hat den kriegerischen Westen offensichtlich vergebens aufgerufen, unterschiedliche kulturelle Wertvorstellungen (also eine multipolare Welt) zu akzeptieren. Eine universale Einheitskultur auf tiefstem US-amerikanischem Niveau, also eine flächendeckende Verwestlichung, ist keine zwingende Begleiterscheinung der Modernisierung, sondern eine „kindische“ Betrachtungsweise (so Fernand Braudel, französischer Historiker 1902‒1985). „Das Verblassen des Westens“, mit dem sich Huntington im erwähnten Buch ausgiebig befasste, hatte seinen Vorläufer im kulturphilosophischen Werk „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler, das 1918 erschienen ist. Auch er erkannte die Notwendigkeit eines Nebeneinanders von Kulturen. Was auch nichts genützt hat.
 
Die Macht des arroganten Westens verblasst nach einer Phase der mit allen Mitteln durchgesetzten triumphalen Dominanz jetzt schneller denn je; er kann sich nur noch durch massive militärische Einsätze an der Spitze halten. Tief reichend sind die Folgen des westlichen Bildungszerfalls, der sich am Programm vieler etablierter Fernsehsender (und ebenfalls in der nachahmerischen gedruckten Presse) auch von jenen ablesen lässt, die sonst kaum noch lesen (können). Bei der Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises sprach Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, in literarisch wenig gehobener, aber treffender Sprache nicht umsonst von „Blödsinn“, und die Literatin Elke Heidenreich setzte mit ihrer kraftvollen Rede von einer „grottendummen Veranstaltung“ noch einen drauf.
 
Ein Damm von aufgestautem Frust brach; er war allerdings vom Medienmainstream bald wieder unter Kontrolle gebracht. Aber geblieben ist ein markanter Hinweis – und ich folge nun einer Formulierung von Samuel P. Huntington in seinem Kulturkampf-Buch – auf das „abnehmende Interesse für Bildung und geistige Betätigung, in den USA am Absinken der akademischen Leistungen ablesbar“. Dieser Bildungszerfall hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte beschleunigend auf die gesamte amerikanisierte Welt ausgedehnt. Und diese fürchtet sich offensichtlich vor dem Überlegenheitsanspruch der Asiaten, Russen und Muslime in Bildungs- und teilweise auch in Ethik-Belangen. Unterbindet man die Bildung, verhindert man dadurch die Kulturentwickelung. In den westlichen Ländern dient dieselbe Massnahme der Ausbreitung der rein kommerziell orientierten Globalisierung, die unkritisch mitlaufende Massen braucht, Massen, die jeden Schrott zusammenkaufen, wenn möglich auf Kredit, damit das Bankenwesen und die Wirtschaft florieren, die auf ein unendliches Wachstum angelegt sind. Geistesgaben, besonders wenn sie in kritische Betrachtungsweisen ausmünden, wären dabei nur hinderlich, würden das falsche neoliberale System gefährden.
 
Ausschliesslich damit kann ich mir erklären, dass Israel am 30.12.2008 die Islamische Universität Gaza-Stadt bombardieren liess, weil in deren Labors angeblich Sprengstoffe entwickelt wurden (als ob der Sprengstoff nicht schon lange erfunden wäre …). Laut NZZ vom 02.01.2009 haben im Gazastreifen u. a. „mehrere Hochschulen“ „ein gestrichenes Mass an Bomben“ erhalten. Selbst die Schule der Rosenkranzschwestern in Gaza wurde in Mitleidenschaft gezogen. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an die Zerstörung der Nationalbibliothek in Bagdad (im April 2003) durch die Amerikaner durch Brandschatzung und Raub – ein unermesslicher Verlust auch in Bezug auf das Wissen über die Menschheitsgeschichte, ein wichtiges Fundament für die Geschichtsschreibung. Schon im 2. Weltkrieg waren Universitäten beliebte Bombenziele; so wurden 58 von 92 Instituten der Universität Leipzig von britischen und amerikanischen Bomben zerstört. Wieso soll es noch ein Recht auf Bildung geben, wenn schon Menschenrechte nichts mehr zählen und Analphabeten leichter zu manipulieren sind?
 
Mit Zerstörungen von Stätten des Wissens wird versucht, das Selbstbewusstsein, die Identität und die Bildung der Völker auszulöschen, Aktionen innerhalb eines kulturellen Völkermords. Dass die Amerikaner Israels Vernichtungsfeldzug bedingungslos in Gaza unterstützen (und selbst der selbsternannte messianische Friedensengel Obama kein Wort der Kritik an Israel herausbringt) und die Ursachen dafür allein den Palästinensern mit ihren unbeholfenen Raketen zuschieben, versteht sich von selbst. Die Gesetze und Massnahmen zum Schutz von Amerikanern und Juden müssen wegen des von ihnen in der bekämpften Kultur neu heraufbeschworenen Hasses in Zukunft wohl noch erheblich verschärft werden. Die freie Meinungsäusserung wird weiter eingeschränkt werden.
 
Dass die Amerikaner und die mit ihnen eng verbündeten Israelis, diese heiligen Krieger, um ihr kriminelles Verhalten wissen, beweist die Verhinderung einer freien Berichterstattung. Im Irak-Krieg wurden käufliche Journalisten „eingebettet“, das heisst vollkommen einseitig informiert und einer Zensur unterworfen, und in Gaza lässt Israel ebenfalls keine unabhängige Berichterstattung zu. Das spricht Bände.
 
Der Ausbau des militärischen statt geistigen Potenzials, die Verhinderung und Zerstörung des geistigen Potenzials durch militärische Machtmittel sind die letzten Zeichen des abendländischen Niedergangs, den Huntington voraussah. Die Folgen des Schlemmerlebens auf Pump konnte er im heutigen Ausmass noch nicht wahrnehmen, und so täuschte er sich nur in einem: Er prognostizierte das Niedergangstempo als viel zu langsam.
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005.
 
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